Gut gelaunt machten sich anlässlich des diesjährigen Pfarrkonvents 12 Pfarrerinnen und Pfarrer aus unserem Dekanat auf den Weg nach Straßburg, um die Reformation, die dort vor genau 501 Jahren Einzug hielt, nachzuspüren.
Los ging es gegen Mittag mit dem Zug von Haßfurt aus. Das war am Montag, den 14. Juli - ein besonderes Datum, denn wir durften an diesem Tag nicht nur meinen Geburtstag feiern, sondern auch den Nationalfeiertag in Frankreich, was am Abend mit einem ausgiebigen Feuerwerk seinen Höhepunkt fand.
Am nächsten Tag begeisterte uns Rudi Popp, Pfarrer der Kirchengemeinde „Temple Neuf“, mit einer etwas anderen Stadtführung. Ausgestattet mit einer Karte, die Straßburg im Jahre 1548 zeigte, suchten und besuchten wir verschiedenste Orte der Reformationsgeschichte der Stadt.
Wir starteten beim berühmten Straßburger Münster und gingen dann zu Fuß zum ehemaligen Wohnhaus des ersten elsässischen Reformators und evangelischen Pfarrers in Straßburg, Mattis (Matthäus) Zell, der auch Leutpriester am Münster war.
Auch eine Simultankirche, also eine Kirche, die von mehreren Konfessionen genutzt wird, durfte auf unserer Stadtführung nicht fehlen. Hierfür besuchten wir die „Jung Sankt Peterkirche“ (Église Saint-Pierre-le-Jeune), deren Grundsteinlegung bis ins frühe Mittelalter reicht. Interessanterweise wird heutzutage der Chorraum der Kirche von der katholischen Gemeinde und das Kirchenschiff von den evangelischen Gemeindegliedern genutzt. Für mich ist das ist ein spannendes Modell gelebter Ökumene, das ich mir auch gut für unsere Kirchen vorstellen könnte.
Zu guter Letzt zeigte uns Pfarrer Popp noch seine Wirkungsstätte, dem „Temple Neuf“. Die Kirchengemeinde "Temple Neuf" ist Teil des evangelischen Gemeindeverbandes Straßburg-Zentrum und gehört zur Evangelischen Kirche der Union in Elsass-Lothringen. Ihre Wurzeln sind lutherisch. Bis 1950 wurden dort die Gottesdienste auch noch in deutscher Sprache abgehalten.
Wer sich fragt, warum die Kirchengemeinde „Temple Neuf“, zu deutsch „Neue Kirche“ heißt, muss wissen, dass die Gemeinde die ehemalige evangelische Münstergemeinde ist, die wie alle Kirchen Straßburgs in der Reformationszeit zur evangelischen Lehre übergingen.
Ludwig XIV. gab jedoch das Münster im Jahr 1681 an die Katholiken zurück. So wurde der dortigen evangelischen Gemeinde die Dominikanerkirche, die an Stelle des heutigen „Temple Neuf“ stand, zugewiesen. Sie wurde für die Münstergemeinde zur "Neuen Kirche".
Über die Dominikanerkirche (Predigerkirche) und das angrenzende Kloster haben wir auch Interessantes erfahren. Hier unterrichteten und predigten u.a. Meister Eckhart (1260-1328) und sein Schüler Johannes Tauler (1300-1366). Sie waren einflussreiche Vertreter der deutschen Mystik. Wissenswert ist auch: Die älteste Fassung des berühmten Adventslieds "Es kommt ein Schiff geladen" wird traditionnell Johannes Tauler zugeschrieben. Später wirkte auch der Reformator Johannes Calvin an der Dominikanerkirche und gründete dort die erste französisch-reformierte Gemeinde Straßburgs.
Heute versteht sich die evangelische Kirche „Temple Neuf“ als Citykirche im Straßburger Stadtzentrum, die Menschen, die den Kirchen und den christlichen Traditionen fernstehen, die Möglichkeit zur (Wieder-)Entdeckung eines weltoffenen und aufgeschlossenen evangelischen Lebens gibt. Hierfür lädt das Programm "respire" (Religion, Spiritualität, Reflexion) zu verschiedensten musikalischen, kulturellen und spirituellen Veranstaltungen in der Kirche ein. So kamen wir auch in den Genuss eines Konzerts mit dem Titel „New Memories“, in dem wir mit Laute und Querflöte musikalisch verzaubert wurden.
Am Dienstagnachmittag besuchten wir noch die evangelische Thomaskirche, ein sehr schönes Beispiel für die elsässische Gotik, und bewunderten dabei die berühmte Silbermann-Orgel von 1741, auf der schon der deutsch-französische Arzt, Philosoph und Theologe Albert Schweitzer spielte.
Den Mittwoch verbrachten wir im wunderschönen Städtchen Colmar. Unser erster Anlaufpunkt war das Museum Unterlinden, das den bekannten Isenheimer Altar beherbergt. Der Bildschnitzer Niklaus von Hagenau und der Maler Grünewald gestalteten den Altar zwischen 1512 und 1516 für den Antoniter-Orden, der in Isenheim eine Präzeptorei hatte.
Der Altar spielte für den Auftrag der Antoniter eine große Rolle. Die Ordensleute nahmen im Mittelalter die am Antoniusfeuer leidenden Menschen auf und pflegen die Kranken mit nahrhaftem Brot und dem „Saint-Vinage”, einem Heiltrank auf der Basis von Wein und Kräutern, in den die Reliquien des hl. Antonius getaucht werden. Außerdem wurden die Geplagten vor den Altar geführt. Auf diesem sahen sie den gepeinigten Christus, der augenscheinlich noch viel mehr leiden musste als sie selbst, was den Blick auf ihre Krankheit relativieren sollte.
Der Nachmittag stand dann zur freien Verfügung und, wer wollte, konnte ins Schokoladenmuseum gehen, an einer Weinverkostung teilnehmen oder einfach den Flair der Stadt genießen.
Den Donnerstag nutzten wir, um am Vormittag das nahegelegene ökumenische Institut zu besichtigen. Mit Pfarrer Dr. Frank Zeeb, dem wissenschaftlichen Assistent des Instituts, kamen wir ins Gespräch über die vergangene und gegenwärtige Ökumene. Dr. Zeeb hob dabei die Meilensteine hervor, die wesentlich im Institut erarbeitet worden sind, wie die Leuenberger Konkordie (1973) oder die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999). Ständige Aufgaben des Instituts sind die Beratung des LWB (Lutherischer Weltbund) und der lutherischen Kirchen bei Dialogen mit ökumenischen Gesprächspartnern, sowie das Abhalten von Tagungen und Seminaren zu Themen der Ökumene.
Am Nachmittag trafen wir uns dann für eine gemeinsame Führung durch das Münster wieder. Das Spannende dabei war, dass wir keinen externen Führer brauchten. Wir stellten uns einfach gegenseitig die Cathédrale de Strasbourg, wie das Münster auf Französisch heißt, vor.
Uns beeindruckte vor allem die Kanzel, ein Meisterwerk der Spätgotik mit außergewöhnlichen Symbolen und dem Münstermaskottchen, einem Hund, und die astronomische Uhr. Die Uhr vereint auf wunderbare Weise das astronomische Weltwissen des 16. Jahrhunderts und die religiöse Sicht auf die Menschheit zu einem Gesamtkunstwerk.
Das Strasburger Münster gehört übrigens zu den bedeutendsten Kirchengebäuden der europäischen Architekturgeschichte sowie zu den größten Sandsteinbauten der Welt.
Das Münster wurde 1176 bis 1439 aus rosa Vogesensandstein errichtet. Von mindestens 1647 bis 1874 war das Münster mit seinem 142 Meter hohen Nordturm das höchste Bauwerk der Menschheit und das höchste im Mittelalter vollendete Gebäude.
Am Freitag, dem letzten Tag unserer Reise, hatten wir dann auch die Möglichkeit an einer Eucharistiefeier in einem Seitenflügel des Münsters teilzunehmen. Das war ein schöner und würdiger Abschluss unseres Pfarrkonvents.
Straßburg wird uns in Erinnerung bleiben als Wiege der französischen Reformation, die bereits1524 mit der ersten Predigt Martin Bucers in der Stadt an der Ill Einzug hielt.
Ein besonderes Dankeschön geht an meine Kollegen Pfarrerin Melanie von Truchseß und Pfarrer Jan Lungfiel, die diesen Konvent organisiert und begleitet haben!
Pfarrerin Kathrin Wagner